Sonntag, 30. Dezember 2012

Deutsche vs.Griechen

Einige saßen an den Tischen, die Kerzen brannten, andere tanzten, da kam ein Mann herein und rief: "Ihr feiert, und wir zahlen dafür!"
Ob im Bürgeramt, in der Kita oder im Internet: Griechen in der Bundesrepublik beklagen, dass die Deutschen sie wegen der Euro-Krise immer respektloser behandeln. Häme und Vorurteile machen sich breit.



Kostas Papanastasiou: „Die Griechen verdienen das nicht.“ Der frühere „Lindenstraße“-Schauspieler betreibt ein Restaurant in Berlin, wo er seit 1956 lebt


"Die Griechen verdienen das nicht", sagt Kostas Papanastasiou. Er sitzt in seinem Restaurant "Terzo Mondo" in Berlin und wägt ab, bevor er ausspricht, was er denkt. Er sagt, dass er solche Momente wie damals auf der Feier häufiger erlebt.
Dass Leute hereinkommen, Deutsche, und gegen ihn und seine griechischen Landsleute pöbeln. Wegen der Griechenland-Krise.

Seit 1956 in Berlin

Der Mann mit dem weißen, zottigen Bart und den buschigen Augenbrauen kam 1956 nach Berlin, 1972 hat er das "Terzo Mondo" eröffnet. Die Griechen sollten einen Ort haben, an dem sie sich treffen konnten, sagt er.
Von 1985 bis 1996 hat Papanastasiou einen Wirt in der Fernsehserie "Lindenstraße" gespielt, der ersten Soap im deutschen Fernsehen mit Ausländerquote. Papanastasiou hat auf dem Bildschirm für Integration geworben, aber so einfach, wie sich die Probleme aus der Fernsehwelt schaffen lassen, ist das in der richtigen Welt nicht zu machen, das weiß er.
Der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, sagt Papanastasiou, habe damals seine erste Reise nach Athen gemacht, ausgerechnet. Kein Land außer Griechenland hätte Heuss empfangen wollen. "Es ist traurig, dass die Deutschen nun gerade die Griechen angreifen."

"Den Griechen tut das weh"

Sigrid Skarpelis-Sperk sagt, die Vorurteile Deutscher gegenüber Griechen nähmen zu. Sie ist die Präsidentin der Vereinigung der deutsch-griechischen Gesellschaften. Griechen würden in Deutschland auf unglaubliche Art attackiert, sagt die SPD-Politikerin.
"Man diskutiert nicht darüber, was sich bei den Griechen ändern muss – was gerechtfertigt wäre". Stattdessen gebe es – auch in der seriösen Presse – eine Diffamierungskampagne, wie sie sie in Nachkriegszeiten noch nicht erlebt habe. "Den Griechen tut das weh", sagt Skarpelis-Sperk. "Oft ziehen sie sich zurück."
Athanasios Vassiliou entwickelt in Berlin mediengestützte Lehrkonzepte, eLearning und solche Sachen. Er ist ins Otto-Suhr-Institut gekommen, ganz in der Nähe, dort spricht es sich gut über Politik, und Vassiliou will über die Deutschen und die Griechen sprechen, wie er die Sache sieht.
Er sitzt in der Cafeteria im vierten Stock, an den anderen schlichten Tischen hocken Studenten und plaudern. "Die Hemmschwelle, gegen Griechen zu wettern, ist stark gesunken", sagt Vassiliou, nimmt einen Schluck von seinem Cappuccino und möchte das mit ein paar persönlichen Beispielen belegen. Also erzählt er.

Beleidigung aus einer "Laune" heraus


Athanasios Vassiliou: „Die Hemmschwelle, gegen Griechen zu wettern, ist stark gesunken“
Foto: jan-david sutthoffAthanasios Vassiliou: "Die Hemmschwelle, gegen Griechen zu wettern, ist stark gesunken"
Davon, wie bei einer Fortbildung die Kaffeekasse herumgegangen sei und einer gesagt habe: Gebt sie nicht dem Griechen, sonst wird das Geld veruntreut. "Hinterher", sagt Vassiliou, "hat er dann zu mir gesagt, dass es nicht so gemeint war." Aber, fragt Vassiliou, wie dann?
Davon, wie der Bruder seiner deutschen Frau vor dem Fußball-EM-Spiel zwischen Deutschland und Griechenland im Internet gepostet habe: "Die Scheißgriechen hauen wir weg."
"Hinterher", sagt Vassiliou wieder, "hat er dann zu mir gesagt, dass es nur eine Laune war." Aber sein Schwager habe nun mal eine Schwester mit einer halbgriechischen Familie.

Kita-Leitung gegen Griechisch-Stunde?

Davon, dass es in der deutsch-griechischen Kita seines vierjährigen Sohnes eine vom griechischen Staat finanzierte Betreuerin gebe, die vier Stunden täglich gezielt die Sprachfähigkeiten der griechischen Kinder fördern solle.
"Aber wenn sie das machen will", erzählt Vassiliou, "hat die Kita-Leitung oft etwas anderes mit den Kindern vor, einen Spaziergang oder so." Ob sie das beweisen könnten, habe die Kita-Leitung gefragt, als Vassiliou, seine Frau und andere Eltern dort gewesen seien, um vorzubringen, dass sie den Eindruck hätten, die Kita unterstütze die Sprachförderung nicht.
Vassiliou: "Eltern bringen ihre Kinder in die Kita und holen sie wieder ab, sonst sind sie nicht dabei, natürlich konnten wir nichts beweisen." Es ist nur eine Vermutung, ein Gefühl, ein Teil in Vassilious Puzzle.

"So, jetzt wollen Sie Deutscher werden?"

Für Vassiliou passen dazu auch die Erlebnisse mit seinem Einbürgerungsantrag, den er im November 2011 gestellt habe. Normalerweise sollten solche Anträge nach maximal sechs Monaten mit einem Urteil beantwortet werden, mit Ja oder mit Nein, sagt Vassiliou, aber er habe bis heute nichts gehört.
"Kein Zufall", sagt er. "Als ich den Antrag damals gestellt habe, hat der Beamte gesagt: So, jetzt, wo Sie aus dem Euro fliegen, wollen Sie Deutscher werden, was?"
24 seiner 34 Lebensjahre hat Vassiliou mittlerweile in Deutschland verbracht, er will Deutscher werden, damit er endlich auch wählen gehen kann, sagt er.

Berlin ist gar nicht so tolerant

Das alles soll in Berlin passiert sein, der angeblichen Stadt der Toleranz. So sind die Menschen, sagt Gesellschaftspsychologe Hans-Joachim Maaz: Sie suchen Sündenböcke.
Die negative Haltung Deutscher gegenüber Griechen zeige, dass die Deutschen beunruhigt seien über ihre Zukunft. Dass sie Angst hätten, was aus ihrem Geld würde und davor, ihren Lebensstandard zu verlieren. "Sie fragen sich: Wer ist schuld?", sagt Maaz. "Und die einfache Antwort lautet: die Griechen."
Sie wollten ihre eigenen Probleme an anderen abarbeiten. "Bedenkliche bis gefährliche Mechanismen" nennt Maaz das.

Der berüchtigte "Focus"-Titel

Athanasios Vassiliou redet so laut, dass die Studenten von den anderen Tischen zu ihm hinüberschauen. Er ist ein stämmiger Typ, aber er hat eine weiche Stimme, und einen Akzent hört nur noch, wer weiß, dass es eigentlich einen geben müsste.
Vassiliou sagt: "Kein vernünftiger Grieche würde bestreiten, dass das Land Reformen braucht." Aber in all den Jahren in Deutschland habe er sich noch nie so fremd gefühlt wie jetzt.
Der "Focus"-Titel mit der Aphrodite, die den Stinkefinger zeigte, habe die Antistimmung in Deutschland 2010 ausgelöst, glaubt er. "Dann", sagt Vassiliou, "lief die Geschichte. Das Bild war kreiert: Der Grieche hängt nur herum und trinkt Kaffee oder Ouzo."

"Das verletzt"

Vor Lampros Savvidis, einem Mann mit auffällig breiter Nase, steht ein volles Glas Rotwein, und Savvidis wird es in der nächsten Zeit kaum leeren. Er hat so viel zu erzählen, dass er, bevor er dazu kommt, vergessen hat, was er ursprünglich einmal sagen wollte.

Lampros Savvidis, Vizevorsitzender der Hellenischen Gemeinde zu Berlin
Foto: jan-david sutthoffLampros Savvidis, Vizevorsitzender der Hellenischen Gemeinde zu Berlin
Savvidis ist Vizevorsitzender der Hellenischen Gemeinde zu Berlin. Wenn er es gut meint, legt er eine Hand auf die Hand eines der Menschen, zu denen er spricht. Im Kulturzentrum, das in einer stillen Nebenstraße steht, hängen blau-weiße Wimpel an der Decke, in einer Ecke schauen zwei Männer eine Weltkriegsdokumentation im Fernsehen.
In der anderen setzt sich Lampros Savvidis in seiner Strickjacke auf einen Stuhl. Aus einem Ordner hat er einen kürzlich erschienenen Zeitungskommentar gekramt, Griechen seien undankbar, steht darin. Das habe ihn irritiert, sagt Savvidis, der Autor habe sich keine Mühe gemacht, die Griechen zu verstehen. "Das verletzt."
Er steht auf, geht wieder zum Ordner, der auf einem Nebentisch liegt, und tauscht den Zeitungskommentar gegen einen, den er selbst einmal für die Gemeinde verfasst hat. Es reiche mit der Beleidigung und Verleumdung der Griechen, hat er geschrieben. "Das hat sich nicht geändert", sagt Savvidis. "Die Sache ist nicht geregelt."

Sind Deutsche und Griechen beide Opfer?

Einer der Männer aus der anderen Ecke murrt herüber: "Habt ihr schon mal so einen Präsidenten wie unseren gesehen? Er lässt sein Volk hungern."
Er solle sich nicht einmischen, bedeutet ihm Savvidis, und fährt fort. Er sei für Europa, sagt er, und erzählt, wie er in Dortmund Elektrotechnik studiert hat, eine tolle Zeit sei das gewesen.
"Nichts ist schwer – für den Ingenieur", den Spruch habe man ihm damals eingetrichtert, sagt er, hebt die Stimme dabei auf "schwer", stoppt kurz, senkt sie wieder während der zweiten drei Wörter, und betont die Silben so, dass sich der Merksatz besonders rhythmisch anhört.
Deutsche und Griechen seien Opfer, sagt Savvidis dann wieder ganz unrhythmisch, manipuliert von den Medien und den Politikern, die den Menschen den Kopf verdrehten. Die älteren Griechen könnten damit umgehen, sie wüssten, wie es vor der Krise gewesen sei. "Die jungen Griechen sind bei der kleinsten Ablehnung schockiert."

"Kein Streit zwischen Hans und Kostas"

Kostas Papanastasiou spielt mit seinem Feuerzeug, er schaut auf, wenn Gäste ins "Terzo Mondo" kommen und verfolgt, wie der Kellner sie bedient. "Zwischen den Deutschen und den Griechen gibt es Streit, weil sie die Krise nicht verstehen, weil sie falsch aufgeklärt werden."
Und im Streit werde man beleidigend. "Das ist kein Streit zwischen Hans und Kostas", sagt Kostas Papanastasiou. "Es ist ein Streit zwischen Deutschen und Griechen." Und er sagt: "Die Krise wird noch lange Zeit bleiben."
Papanastasiou erzählt von einer Radiosendung, die er gehört habe, ein paar Experten hätten über die Euro-Krise diskutiert. Einer habe gesagt, wenn man ihr nicht begegne, könne es Krieg geben. Keiner habe ihn ernst genommen.

Samstag, 15. Dezember 2012

Griechenland: Wirtschaftliche und politische Erpressung zugunsten neoliberaler Ziele

Auszug aus einem Artikel des Parteivorsitzenden der SYRIZA-Partei, Alexis Tsipras im Guardian


.......2008 und 2009 war die Rezession Ergebnis der Ausbreitung der weltweiten Wirtschaftskrise. Seitdem wurde sie von der Sparpolitik hervorgerufen und vertieft, welche Griechenland von der Troika und der griechischen Regierung aufgezwungen wurde“, merkt Herr Tsipras und fügt an:
Diese Politiken sind für das Volk und hauptsächlich die Arbeitnehmer, Rentner, Kleinunternehmer, Frauen und natürlich die jungen Menschen katastrophal. Die griechische Wirtschaft ist um mehr als 22% geschrumpft, die Arbeitnehmer und Rentner haben 32% ihres Einkommens verloren und die Arbeitslosigkeit präsentiert einen ungekannten Anstieg auf 24%, während die Arbeitslosigkeit der jungen Menschen 55% erreicht“.

Wirtschaftliche und politische Erpressung zugunsten neoliberaler Ziele

Die Austeritätspolitiken“, fährt Alexis Tsipras fort, “hindern die Wirtschaft daran, zu Rhythmen des Wachstums zurückzukehren. Die Austerität führt in einen Teufelskreis der Rezession und des Anstiegs der Verschuldung, was wiederum Griechenland und seine Gläubiger in die Katastrophe führt. All dies ist den europäischen und griechischen Politikern – darunter auch Frau Merkel – bekannt, die darauf abzielen, ähnliche Programme auch anderen europäischen Ländern aufzuzwingen, die Verschuldungsproblemen begegnen, wie Spanien, Portugal und Italien“, unterstreicht Tsipras und antwortet auf die Frage “warum beharren sie dermaßen dogmatisch auf dieser katastrophalen Politik?“:
Wir nehmen an, dass ihr Ziel nicht ist, die Schuldenkrise zu lösen, sondern einen neuen regulativen Rahmen in ganz Europa zu schaffen, der auf den billigen Arbeitskräften, der Liberalisierung des Arbeitsmarkts, den reduzierten öffentlichen Ausgaben und den Steuerbefreiungen des Kapitals basieren wird. Um dies zu erzielen, stützen sie ihre Strategie auf eine Form politischer und wirtschaftlicher Erpressung, um die Europäer zu überzeugen oder zu zwingen, die Sparpakete ohne jegliche Gegenreaktion zu akzeptieren. Die in Griechenland befolgte Politik der Angst und der Einschüchterung ist das beste Beispiel dieser Strategie.
Dies muss jetzt aufhören. Europa braucht einen neuen Plan, der die europäische Vollendung forciert. Dieser Plan muss den Neoliberalismus in Frage stellen und die europäischen Wirtschaften auf den Weg des Aufschwungs führen. Es ist den Bedürfnissen der Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslosen und nicht denen der Multis und der bankrotten Bankiers Priorität zu geben. Die SYRIZA-EKM hat sich verpflichtet, diesen Weg zu befolgen. Wir wissen, dass es schwer ist, aber es ist der einzige Plan, der die europäische Vision der gesellschaftlichen Gerechtigkeit, des Friedens und der Solidarität wiederherstellen kann“, unterstreicht er.
Abschließend unterstreicht Herr Tsipras: “Dieser Plan wird nur gelingen, wenn die Kämpfe des Volkes das Kräfteverhältnis radikal ändern. Diese Kämpfe haben bereits begonnen und führen zum Aufstieg der Linken und der Widerstandsbewegungen in ganz Griechenland. Sie halten die Demokratie, die Gleichberechtigung, die Freiheit und die Solidarität lebendig – die bedeutendsten Werte der europäischen politischen Tradition. Diese Werte müssen überwiegen, anderenfalls wird Europa in eine dunkle Vergangenheit zurückfallen, von der wir glaubten, sie sei unwiderruflich überwunden worden.

Sonntag, 9. Dezember 2012

Griechische Verhältnisse in Deutschland


Wenn man Markus Söder (CSU) glauben will, dann herrschen in Deutschland griechische Verhältnisse. Zumindest in Bremen und Berlin. Zu diesem Vergleich hatte Bayerns Finanzminister sich Anfang des Jahres hinreißen lassen – um seinem Ärger darüber Ausdruck zu verleihen, dass er aus seinem Landesbudget hoch verschuldete Bundesländer wie eben Bremen oder Berlin subventionieren muss. Regionen, die unsolide wirtschafteten, müssten ebenso sanktioniert werden wie europäische Staaten, forderte er im FOCUS-Interview: „Das, was die Griechen leisten müssen, können auch Bremen und Berlin schaffen.“ 
Allein Berlin hat bisher 45 Mrd. € aus dem Staatshaushalt erhalten.


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