Freitag, 11. Januar 2013

Die Rettung der Griechen ist nur eine Inszenierung


Deutschland trägt an dem Leid der Griechen eine Mitschuld. Statt zu helfen, denken wir an unseren eigenen Vorteil. Dabei ist es höchste Zeit, endlich Erbarmen mit Griechenland zu zeigen! Von 

Straßenszene in Athen. Das Land leidet – und viele Deutschen sagen: „selbst Schuld“
Foto: dapdStraßenszene in Athen. Das Land leidet – und viele Deutschen sagen: "Selbst Schuld"
Kennen Sie den? Ein Bauer, dem die Kosten für seinen Hof über den Kopf wachsen, stellt ein Sparprogramm auf. Erst einmal meldet er sich bei der GEZ ab, dann montiert er eine Fotovoltaik-Anlage auf das Dach seiner Scheune, mit der er Strom erzeugt, den er zu einem höheren Preis in das Netz einspeist, als er für den Strom zahlen muss, den er aus dem Netz bezieht.
Aber das reicht ihm immer noch nicht. Er beschließt, seinem einzigen Esel das Essen abzugewöhnen, denn das Futter ist ein erheblicher Kostenfaktor in seiner Bilanz. So gibt er dem Tier jeden Tag etwas weniger Heu und lässt die Mineralien – Natrium, Chlorid und Calcium – ganz weg.
Anfangs geht alles gut, der Esel nimmt zwar ab, macht aber seine Arbeit, ohne zu murren. Bis er eines Tages tot umfällt. "So ein Jammer", sagt der Bauer, "ich hatte ihn beinahe so weit."
Wenn Sie in dieser Geschichte den Bauer durch die "Troika" und den Esel durch "Griechenland" ersetzen, dann haben Sie den Schritt aus der Fabel in die Wirklichkeit getan. Griechenland spart sich zu Tode, nein, es wird zu Tode gespart, und zwar von jenen, die für seine Lage mitverantwortlich sind.

Wenn Griechen ihre Autos abmelden

An einem der letzten Tage 2012 brachte die "Tagesschau" einen Bericht über Griechen, die ihre Autos abmelden, um die Kfz-Steuer zu sparen. Gut, man kann auch ohne ein Auto leben, so wie man ohne Fernsehen, Parma-Schinken und Budapester Schuhe leben kann.
Wenn aber einer keine Arbeit hat, dann sind seine Chancen, einen Job zu finden, mit Auto vielleicht doch einen Deut besser als ohne. Vom ökologischen Standpunkt betrachtet, sind "weniger Autos … natürlich besser als mehr" (Winfried Kretschmann, Ministerpräsident), aber was für die Umwelt im Ganzen gut ist, kann für den Einzelnen ruinös sein – den Arbeiter bei Opel ebenso wie den Arbeitslosen in Athen.
JUGENDARBEITSLOSIGKEIT IN EUROPA
  • Krisenländer
  • EU-Quote
  • Stabile Länder
  • Vergleichsmaßstab

Henryk M. Broder
Foto: pa/dpa/dpa ZBHenryk M. Broder
Während wir aber mit den von Betriebseinstellungen bedrohten "Opelanern" mitfühlen, hält sich unser Mitleid mit den Griechen in sehr engen Grenzen. "Selber schuld", sagen wir, hätten die ordentlich Steuern bezahlt, die Bürokratie nicht auswuchern lassen, sich keine 13. und 14. Monatsgehälter gegönnt und ihre Bilanzen bei der Aufnahme in die EU nicht manipuliert, wären sie heute besser dran.
Das ist sicher richtig, aber zu einer fröhlichen Betrugspartie gehören immer zwei. Der Betrüger und derjenige, der sich sehenden Auges betrügen lässt, weil auch er auf einen Vorteil aus ist.
Zum Beispiel den, dass er seinem "Partner" 1000 Panzer im Wert von über zwei Milliarden Euro verkaufen möchte, die sich der Käufer eigentlich gar nicht leisten kann, weswegen das Geschäft finanziert werden muss, woran wiederum die Banken verdienen, die ihm das Geld vorstrecken.

Die Inszenierung der Rettung

Und wenn nun so getan wird, als würden "wir" den Griechen mit immer neuen Milliarden helfen, ihre Wirtschaft zu stabilisieren, dann ist das auch nur Teil einer Inszenierung, wie sie für die gesamte "Armutsindustrie" typisch ist: Die "Helfer" helfen vor allem sich selbst, im Geschäft zu bleiben.
Die Milliarden, die Griechenland "zur Verfügung" gestellt werden, kommen so am Bestimmungsort an wie einst die "Titanic" im Hafen von New York. Sie werden nur hin und her geschoben, von einem Konto aufs andere, von einer Bank zur nächsten, um die den Griechen gewährten Kredite zu refinanzieren und damit den Zusammenbruch nicht etwa der griechischen Ökonomie, sondern der Banken zu verhindern.
Derweil geht Griechenland den Bach runter, schneller und konsequenter, als es die Berichte in der "Tagesschau" und im Heute-Journal vermuten lassen. Dass die Griechen gezwungen sind, ihre Autos abzumelden, wäre noch eines der kleineren Übel; dass die Krankenhäuser ihre Patienten nicht versorgen können, weil die Medikamente unbezahlbar geworden sind, wiegt schon schwerer.
Am schlimmsten aber ist, dass einer ganzen Generation die Zukunft vermasselt wird. Junge Griechen, die keine Aussicht haben, in ihrem Land Arbeit zu finden, wandern aus oder resignieren.

Wohlstand für alle?

So etwas hat es in Europa schon öfter gegeben, Millionen von Polen, Iren und Italienern mussten ihre Heimatländer verlassen. Aber es geschah zu einer Zeit, als Armut der Normalzustand des Lebens war und es keine europäischen Institutionen gab, die mit dem Vorsatz angetreten waren, Wohlstand für alle zu generieren.
Nicht einmal die drei "Stooges" an der Spitze der EU, die Herren Barroso, van Rumpoy und Schulz, würden es heute im Tür-zu-Tür-Einsatz schaffen, die Abbrecher und Aussteiger davon zu überzeugen, dass die EU eine gute Idee ist, der man nur ein wenig Zeit geben muss, bis sie Früchte trägt.
Verständlich, dass sie sich lieber als Garanten des Friedens in Europa feiern lassen, der ohne ihren unermüdlichen Einsatz längst einem Bürgerkrieg Platz gemacht hätte.
Aber Griechenland ist der beste Beleg dafür, dass der Bürgerkrieg bereits begonnen hat. Es ist nicht nur der Süden, der gegen den Norden rebelliert, es ist der "Pöbel", der sich gegen einen europäischen Adel erhebt, der in Brüssel sein neues Sanssouci errichtet hat.

Griechenland soll geopfert werden

Diesem "Haus ohne Sorgen" zuliebe muss man Griechenland opfern, um ein Exempel zu statuieren, wie es früher strenge Eltern mit einem aufsässigen Kind getan haben, um die anderen beizeiten zu disziplinieren.
Was diesen Vorgang über die übliche bürokratische Grausamkeit hinaushebt, ist die emotionale Kälte, mit der er exekutiert wird. In Deutschland etwa, wo das "Diktat von Versailles" noch immer als Kränkung empfunden wird, die zum Zweiten Weltkrieg geführt hat, hat man mit den Griechen so viel Empathie wie ein Förster mit einem Wilderer.
Dass die Griechen gerade ihr Versailles erleben, die bedingungslose Unterordnung unter das "Diktat von Brüssel", kommt keinem der Politiker in den Sinn, die ansonsten ihre Reden gerne mit den Worten anfangen: "Gerade wir als Deutsche, die wir aus unserer Geschichte gelernt haben …"
Zu den Lehren, die "wir" aus unserer Geschichte gelernt haben, gehört auch die Erkenntnis, dass Kollektivstrafen unzulässig sind und man ein ganzes Volk nicht für die Missetaten seiner Führer verantwortlich machen kann. So wurde – und wird noch immer – sauber zwischen den "Deutschen" und den "Nazis" unterschieden, die 1933 wie Aliens in Deutschland eingefallen sind und das Land unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Keine Unschuldsvermutung

Für die Griechen aber gibt es keine Unschuldsvermutung, die sitzen alle in einem Boot und haften füreinander wie Ali Baba und seine 40 Räuber. Sie stehen auch gemeinsam vor einem europäischen Strafgericht, dessen Urteil von keiner höheren Instanz überprüft wird. Es sei denn, das liebe Gott nimmt sich der Sache an.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was die Griechen von der "europäischen Integration" halten. Noch weniger Vorstellungskraft ist vonnöten, um zu erahnen, wie es mit dem Bauern weitergeht, der seinem Esel so konsequent das Fressen abgewöhnt hat.

Donnerstag, 10. Januar 2013

Rundfunkgebühren


Seit Wochen versucht "Bild", einen Volksaufstand gegen den neuen Rundfunkbeitrag herbeizuschreiben. Fast jeden Tag wartet das Blatt mit einem neuen Artikel auf, der einen Skandal im neuen System anprangert. Die vermeintlichen Enthüllungen werden von anderen Medien begeistert ungeprüft übernommen.
Wie macht die "Bild" das?
Stellen wir uns für einen Moment vor, wir redeten nicht von ARD undZDF, sondern vom Taschengeld des kleinen Timmy.
Der hat bislang jeden Monat 60 Euro bekommen: je zehn von Vater und Mutter und 40 von Tante Ursula. Nach dem Ärger am zweiten Weihnachtstag haben die Verwandten beschlossen, das Geld anders aufzuteilen. Vater und Mutter zahlen jetzt je 15 Euro, Tante Ursula auch, und dafür beteiligt sich Onkel Franz ebenfalls mit 15 Euro.
Timmys Schwester Tanja findet es doof, dass Timmy überhaupt soviel Taschengeld bekommt, und macht nun Theater: Das sei total ungerecht, dass der Timmy nun viel mehr Geld bekommt als früher. Ich krieg doch gar nicht mehr Geld als früher, sagt Timmy. Wohl, sagt Tanja: Die Eltern zahlen jetzt jeden Monat zehn Euro mehr! Und der Onkel Franz zahlt jetzt plötzlich auch! Überhaupt müssen mehr Leute dein Taschengeld bezahlen! Also ist klar, dass du voll eine Taschengelderhöhung bekommen hast.
Tanja will später mal zur "Bild"-Zeitung gehen.
Dirk Hoeren, Guido Brandenburg und Nikolaus Harbusch sind heute die Tanjas von "Bild". Ihre Kampagne gegen ARD und ZDF basiert zum großen Teil auf zwei einfachen Taschenspielertricks: Bekannte und öffentlich zugängliche Dokumente werden wie neue und geheime Fundsachen behandelt. Und jede potentielle Mehreinnahme für ARDund ZDF durch das neue System wird erwähnt; jede potentielle Mindereinnahme wird verschwiegen.
Am 22. Dezember gab Hoeren vor, "die wichtigsten Fragen" zum neuen Rundfunkbeitrag zu "beantworten". Darunter diese:
Steigen die Einnahmen der Sender durch den neuen Beitrag?
Die Sender rechnen mit 840.000 neuen Gebührenzahlern. Die Gebührenkommission KEF kalkuliert mit 581 Mio. Euro Mehreinnahmen.
Tatsächlich findet sich die Zahl 581 Mio. an prominenter Stelle (Seite 15) im Bericht der KEF. Er bedeutet allerdings nicht das, was "Bild" behauptet.
Es handelt sich bloß um Einnahmen, die höher ausfallen als ursprünglich angenommen. Mit dem neuen Beitrag hat das erst einmal gar nichts zu tun, was sich schon daraus ergibt, dass sich diese Einnahmen auch auf die Jahre 2011 und 2012 beziehen, also die Zeit vor der Umstellung. Die Summe enthält zum Beispiel auch Werbeeinnahmen: Die KEF geht nämlich aufgrund der guten Entwicklung von Werbeeinnahmen in der ganzen Branche davon aus, dass zum Beispiel die ARD mehr Geld in diesem Bereich einnehmen könnte als bisher geplant.
Um aber auf die "Bild"-Frage zurückzukommen, ob die Einnahmen der Sender durch den neuen Betrag steigen: Nein. Jedenfalls geht die KEFnicht davon aus.
Sie rechnet in der aktuellen Gebührenperiode (2013 bis 2016) mit Einnahmen aus "Teilnehmerbeiträgen" in Höhe vom 29,3 Milliarden Euro. In der vergangenen Gebührenperiode (2009 bis 2012) waren es ebenfalls 29,3 Milliarden Euro.
Im Klartext: Die KEF rechnet damit, dass durch die Umstellung des Systems insgesamt ungefähr genau so viel Rundfunkgebühren eingenommen werden wie bisher. Einerseits müssen in Zukunft zum Beispiel auch Leute zahlen, die gar kein Empfangsgerät haben. Andererseits müssen zum Beispiel Wohngemeinschaften nur noch einen gemeinsamen Beitrag zahlen. Eine genaue Prognose, wie die einzelnen Faktoren ausfallen, ist nach Angaben der KEF wegen vieler Unwägbarkeiten und fehlender Daten nicht möglich, aber es könnte ungefähr bei plusminus Null rauskommen.
Das entspräche auch dem Ziel des Gesetzgebers: Die Ministerpräsidenten wollten die Reform des Finanzierungssystems so gestalten, dass sie "aufkommensneutral" ausfällt. Und selbst wenn mehr Geld als geplant hereinkäme, dürften ARD und ZDF es nicht behalten. Es würde mit zukünftigen Gebühren verrechnet.
Das sind Informationen, die so wesentlich für das Verständnis des ganzen Verfahrens ist, dass "Bild" sie lieber nicht erwähnt.
Am 2. Januar schaffte es das Thema bei ihr auf den Titel:
ARD & ZDF Jagd auf 4 Millionen Haushalte. Rasterfahndung, Pfändung, Offenbarungseid So will die 'GEZ' Gebühren eintreiben
Seit Neujahr ist aus der GEZ der "Beitragsservice" geworden. Das klingt besser — und wird trotzdem schlimmer.
Denn die in Köln sitzende Behörde wird ähnlich unpopulär sein: Mit der seit 1. Januar gültigen "Haushaltsabgabe", einer "TV-Zwangssteuer", macht sie im Auftrag von ARD und ZDF ab sofort Jagd auf mindestens 4 Millionen deutsche Haushalte.
Wer […] nicht zahlen will, muss Zwangsmaßnahmen der öffentlich-rechtlichen Sender fürchten. In ihrem Geschäftsbericht 2011 kündigt die "GEZ" an: "Für die Vollstreckung rückständiger Rundfunkgebühren nutzt die GEZalle zur Verfügung stehenden Vollstreckungsmaßnahmen." Dazu zählen die Inkasso-Jäger von ARD und ZDF Pfändungen von Forderungen, Sachpfändungen und Anträge auf Abnahme der "Eidesstattlichen Versicherung" (früher Offenbarungseid).
Nur "kündigt" die GEZ das gar nicht "an", sondern tut es längst, und die entsprechende Formulierung findet sich seit Jahren in ihren Geschäftsberichten. Auch das hat nichts mit dem neuen Rundfunkbeitrag zu tun.
Am 3. Januar triumphierte "Bild":
Also doch! Die neue TV-"Zwangssteuer" soll vor allem dazu dienen, die Einnahmen von ARD und ZDF zu steigern. Die öffentlich-rechtlichen Sender hatten dies bislang stets bestritten.
In einem BILD vorliegenden Protokoll des NRW-Medienausschusses teilte der ehemalige Chef des ARD/ZDF-Inkassodienstes GEZ, Hans Buchholz, mit, dies sei eine Vorgabe der Politik. Wörtlich sagte er in der Sitzung am 7. April 2011: "Wir haben die Aufforderung, das Beitragsaufkommen um ein Prozent zu steigern. Das ist in den Reformberechnungen der Ministerpräsidenten berücksichtigt."
Das Protokoll, das "Bild" vorliegt, steht für jeden zugänglich auf den Seiten des nordrhein-westfälischen Landtages. Buchholz' Äußerungen sind sicherlich missverständlich. Es geht aber auch in diesem Fall nicht um eine Steigerung der Gesamteinnahmen, sondern nur eines Postens — um Mindereinnahmen an anderer Stelle auszugleichen.
Warum bestreitet die ARD, dass sie jetzt mehr Geld einnimmt?
Sie gab die ARD-Position wieder, dass es vermutlich nicht mehr Geld für die öffentlich-rechtlichen Sender geben werde, und fügte dann hinzu:
Mit dieser Meinung steht die ARD allerdings eher allein auf weiter Front. Der "Stern" geht in seiner aktuellen Ausgabe von Mehreinnahmen von bis zu 1,5 Milliarden Euro pro Jahr aus. Die FAZ schreibt von 800 Mio. Euro. Der FDP-Medienexperte Burkhardt Müller-Sönksen sagt ein Plus zwischen 1,2 und 1,6 Milliarden Euro voraus.
Irgendetwas ist in der Tat grob falsch und irreführend …
Diese Meinung teilt die ARD, wie gesagt, mit dem für genau solche Berechnungen maßgeblichen Gremium, der KEF.
Der "Stern" hat für seine 1,5 Milliarden Euro keine Erklärung oder Quelle. Und der bei der FDP anstelle eines Experten für Medien zuständige Bundestagsabgeordnete Müller-Sönksen hat die Zahl selbst vor zweieinhalb Jahren der "Bild"-Zeitung geschenkt und weigert sich, sie zu erklären. Auf Nachfrage heute von BILDblog wollte er nicht sagen, ob er an dieser Summe festhält oder inzwischen eine neue ausgedacht errechnet hat.
Quelle: http://www.bildblog.de/44989/gebuehrend-falsch/

Sonntag, 6. Januar 2013

STEUERSCHULDEN IN GRIECHENLAND Die Grenze der Belastbarkeit

 Von FERRY BATZOGLOU

Immobilien sind traditionell fast die einzige Anlageform in Griechenland. Eine neue Steuer macht den Besitz nun teurer.  Foto: dpa
In Griechenland sind die rechtskräftigen Steuerschulden auf den historischen Rekordstand von 55,5 Milliarden Euro geklettert. Doch immer mehr Steuerpflichtige sehen sich außer Stande, ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Fiskus nachzukommen.
Georgios Mavraganis tat genau das, was er tun musste. Auch am letzten Tag des Jahres 2012 hatten sich in Griechenlands Finanzämtern lange Warteschlangen gebildet. Tausende Menschen mit Autoschildern in den Händen standen geduldig an, um ihre Kraftfahrzeuge noch rechtzeitig vor Silvester abzumelden.
Der Grund: Sie können sich die KFZ-Steuer für das neue Jahr nicht mehr leisten. Mavraganis, im griechischen Finanzministerium für Steuerfragen zuständig, gab schließlich am Montagmittag bekannt, die Frist werde bis zum 8. Januar verlängert.
Die Episode um die KFZ-Steuer zeigt, dass das pleitebedrohte Griechenland zwar dringend Geld braucht. Doch die Griechen sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt. Seit Jahren verharren die Einnahmen des Staates bei rund 50 Milliarden Euro im Jahr. Auch im Jahr 2012 werden es nur gut 52 Milliarden Euro werden.
Und das, obwohl die Regierung in Athen seit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise im Frühjahr 2010 alles Erdenkliche unternommen hat, um die klammen Staatskassen zu füllen. Die bestehenden Steuern und Abgaben wurden massiv erhöht, Steuerbefreiungen gestrichen, der Steuerfreibetrag gesenkt, eine Reihe neuer Steuern eingeführt.
Überdies hat die Steuerpolizei mittlerweile Dutzende Personen wegen Steuerschulden verhaftet, auch Prominente sind darunter. Am Donnerstag wurde ein bekannter Medienunternehmer verhaftet. Er schuldet dem Staat mehr als neun Millionen Euro.
Finanzministerium stellt Steuerschuldner bloß
Ferner hat das Finanzministerium zunächst 150 Ärzte aus dem Athener Nobel-Viertel Kolonaki, dann 6000 Juristen sowie 5000 weitere Personen durch die Veröffentlichung von entsprechenden Listen im Internet als Steuerschuldner bloßgestellt. Dennoch: Es hilft nichts. Dass die Steuereinnahmen einfach nicht steigen wollen, liegt an der tiefen Rezession, in der das Land seit fünf Jahren steckt. Und Besserung ist nicht in Sicht.
Wie jetzt in Athen bekannt wurde, sind die rechtskräftigen Steuerschulden per Ende November auf den historischen Rekordstand von 55,5 Milliarden Euro geklettert – Tendenz stark steigend. Die sagenhafte Höhe der Steuerschuld treibt den Regierungspolitikern schon jetzt den Schweiß auf die Stirn.
Allein seit Anfang 2012 sind die Steuerschulden der Griechen um 12,1 Milliarden Euro gewachsen. Beobachter führen den rasanten Anstieg vor allem auf die Versendung der Bescheide für die Einkommensteuer sowie zur Entrichtung einer neuen Immobilien-Sonderabgabe zurück. Immer mehr Steuerpflichtige lassen die betreffenden Zahlungsfristen einfach verstreichen. Der Grund ist meist in dem Umstand zu finden, dass sie sich außer Stande sehen, ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Fiskus nachzukommen.
Vor allem die unentwegt zunehmende Steuerbelastung der Privatimmobilien trifft die Bevölkerung schon jetzt hart. Statt der jährlich zu entrichtenden Grundsteuer samt einer in der Krise erstmals erhobenen Immobilien-Sonderabgabe soll in Griechenland künftig eine einheitliche Immobiliensteuer erhoben werden.
Geplant ist, dass die neue Immobiliensteuer nicht nur Wohn- und Gewerbeflächen, sondern auch Agrarflächen betrifft. Ziel des Fiskus’ ist es, von den Immobilienbesitzern deutlich mehr Steuern als früher einzutreiben.
Steuerpflicht für Obdachlose
Das Problem besteht zudem darin, dass anders als in Mittel- und Nordeuropa in Griechenland der Immobilienerwerb traditionell die fast einzige Anlageform und Altersvorsorge darstellte. Große Sparkonten oder Lebensversicherungen sowie private Altersvorsorgen gab es kaum. Seit Krisenbeginn sind dazu alle möglichen Einkünfte – ob Löhne, Gehälter, Renten, Sozialzulagen oder Mieteinnahmen – wegen der von der Regierung betriebenen „inneren Abwertung“ abrupt um bis zu 50 Prozent eingebrochen.
Die Folgen sind fatal. Hatte der Durchschnittsverdiener in Griechenland schon vor der Krise wenig Geld, droht nun zusätzlich Millionen Hausbesitzern die Steuerschuldenfalle. Immobilien finden kaum noch Käufer. Und schon bei Steuerschulden ab 300 Euro droht die Pfändung und Enteignung.
Im ständigen Kampf gegen den drohenden Staatsbankrott haben nun erstmals auch Obdachlose eine Einkommensteuer zu entrichten. Auch wer kein Dach über dem Kopf hat, sich stets bei der Essensausgabe der Kirchen und Kommunen ernährt und keine absetzbaren Quittungen für Konsumausgaben vorlegen kann, muss zahlen. Der Fiskus geht davon aus, dass die Menschen ein Existenzminimum von 8 000 Euro im Jahr zur Verfügung haben – nur 5000 Euro sind steuerfrei.
Steuerpolitik treibt seltsame Blüten
Die griechische Steuerpolitik treibt seltsame Blüten. Die Entscheidung der Regierung, die Mineralölsteuer für Diesel- und Heizöl anzugleichen, verteuerte das Heizöl auf einen Schlag um 40 Prozent. In Folge bleibt in vielen Häusern der Öltank in diesem Winter leer – sowie auch die Staatskassen. Denn wer kein Öl kauft, zahlt darauf auch keine Steuern. Wie die Tankstellenbetreiber melden, sei die Nachfrage nach Heizöl im Vergleich zum Vorjahr um 75 Prozent eingebrochen.
Bis Mitte Januar muss das Parlament das nächste Steuergesetz verabschieden. Es sieht neben der Immobiliensteuer weitere massive Steuererhöhungen vor. So will es die Geldgeber-Troika. Nur wenn Athen der Forderung Folge leistet, wird die im Januar fällige Kredittranche in Höhe von 9,2 Milliarden Euro freigegeben.
Viele Griechen werden derweil in diesem Winter in ihren Wohnungen neben ihren Holzöfen sitzen und darüber rätseln, wie sie ihre Schulden bezahlen sollen.

Quelle: http://www.fr-online.de/schuldenkrise/griechenland-die-grenze--der-belastbarkeit,1471908,21390278.html