Mittwoch, 28. Mai 2014

EU: „Die Bürger haben die Schnauze voll“

Obwohl es ganz leicht möglich wäre, den Präsidenten der EU-Kommission fair im EU-Parlament zu wählen, kungeln die Parteipolitiker Europas seit gestern Abend in den Brüsseler Hinterzimmern. Sie wollen keine Demokratie. Sie agieren unverfroren als Funktionäre für ihre exklusive Klientel. Gemeinsam mit den Brüsseler Spitzen-Bürokraten brechen die Staats- und Regierungschefs das Recht und demaskieren sich als die eigentlichen Anti-Europäer.

Wenn man die Europäischen Verträge durchliest, ist die Sache eigentlich sonnenklar: Es wäre ganz leicht möglich, den Präsidenten der EU-Kommission demokratisch zu wählen.

Artikel 17 des EU-Vertrages besagt:

„Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Erhält dieser Kandidat nicht die Mehrheit, so schlägt der Europäische Rat dem Europäischen Parlament innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit einen neuen Kandidaten vor, für dessen Wahl das Europäische Parlament dasselbe Verfahren anwendet.“

In Artikel 14 steht:

„Das Europäische Parlament …. wählt den Präsidenten der Kommission.

Das Europäische Parlament setzt sich aus Vertretern der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zusammen.

Die Mitglieder des Europäischen Parlaments werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt.“

Artikel 2 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments sagt:

„Die Mitglieder des Europäischen Parlaments üben ihr Mandat frei aus. Sie sind weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden.“

So einfach ist die Demokratie.


Auf dem Papier.

Denn in der Praxis der EU läuft es ganz anders. Während Ratspräsident Van Rompuy nach dem informellen Eröffnungs-Dinner in seinem – völlig belanglosen und dennoch pathetisch triefenden – Statement sagt, die Staatschefs seien nach der Wahl am Sonntag zur Auffassung gelangt, man müsse die „Union bewahren“, feilschen „in dunklen Räumen“ die Staats- und Parteichefs wie verrückt darüber, ob sie nun Jean-Claude Juncker verhindern sollen oder nicht.

Die europäischen Verträge sehen keine „Spitzenkandidaten“ vor und erst recht kein „Recht“, dass irgendein Partei-Soldat Anspruch auf das Amt des Kommissionspräsidenten hat. Beides sind Erfindungen der Parteien. Doch die Parteien in ihrer grenzenlosen Abgehobenheit und Gier gehen sogar so weit, dass sie schon die Posten nach Gutdünken verteilen: Sigmar Gabriel sagte, dass dem SPD-Mann Martin Schulz der zweite Platz – also die Niederlage – auf jeden Fall mit dem Posten eines Kommissars zu versüßen sei. Und, als wäre die steuerfinanzierte EU das Wunschkonzert für die Funktionäre: „Welches Portfolio Schulz bekommen soll, ist erst einmal seine Angelegenheit.“


Die EU, deren hehre Ziele noch bis Sonntag, 18 Uhr, alle Beteiligten in blumigen Worten gepriesen hatten, will den Bürgern einen wegen einer Abhöraffäre in Luxemburg aus dem Amt gejagten Berufspolitiker als „Präsident der Europäer“ vor die Nase setzen. Juncker passt allerdings wirklich gut in dieses Milieu: Er hat einmal gesagt, dass er der Meinung ist, Politik solle „in dunklen Räumen“ gemacht werden, um die Finanzmärkte nicht zu erschrecken.

Luxemburg ist bis zum heutigen Tag ein Offshore-Paradies, an dem die globalen Konzerne ihre Profite aus dem Kontinent schaffen – ohne Steuern in den Ländern zu zahlen, in denen sie Milliarden-Gewinne machen. Juncker hat auch gesagt: Wenn es ernst wird, müsse man in der Politik lügen.

So beginnt die nächste Legislaturperiode der EU mit einem Feuerwerk des steuerfinanzierten Rechtsbruchs, der Parteienherrschaft und der politischen Rundum-Versorgung. Der Steuerzahler wird, wenn er auf die Machenschaften hinweist, als „Anti-Europäer“ diffamiert.


Tatsächlich sind die Staats-, Regierungs- und Parteichefs die eigentlichen Anti-Europäer: Denn sie treten die großartige Idee eines vereinten Europas mit Füssen. Sie brechen die Verträge und schotten sich ab. Lord Charles Leach, Mitglied im House of Lords, hat im niederländischen TV gesagt: „Die Bürger haben in ganz Europa die Schnauze voll von diesen Eliten. Sie sprechen alle dieselbe Sprache, und diese Sprache ist hohl und leer. Die Bürger neigen eher den seltenen Politikern zu, die sagen, was sie denken – auch, wenn es kontrovers ist. Das Votum für Ukip war nicht nur ein Ausdruck des Misstrauens gegen die europäischen Institutionen. Es war eher ein Votum gegen die politische Eliten. Die Protestwähler haben das Gefühl der Abkoppelung der Eliten. Das nennt man ein demokratisches Defizit.“ 

Tatsächlich wäre die demokratische Wahl eines Kommissionspräsidenten sogar in der unvollkommenen Konstruktion der EU-Institutionen möglich. Van Rompuy, der am Dienstag mit den Sondierungsgesprächen beauftragt wurde, müsste nur seinem gesetzlichen Auftrag nachkommen: Gemäß Artikel 16 des EU-Vertrags hat der Präsident des Rats darauf hinzuwirken, „dass Zusammenhalt und Konsens im Europäischen Rat gefördert werden“. Damit ist nicht gehobenes Intrigantentum gemeint. Van Rompuy müsste die kommenden Monate nützen, um mit den Abgeordneten im EU-Parlament einige Kandidaten zu finden, die eine Mehrheit im Parlament bekommen könnten. Die Abgeordneten sind nämlich „frei“ und „weder an Weisungen oder Aufträge gebunden“.

Ein unbefangener Emissär des Rates könnte das viele Geld, das die europäischen Steuerzahler nach Brüssel überweisen, dafür nützen, um auszuloten, wer als EU-Kommissionspräsident eine Mehrheit im Parlament finden kann.


Doch Herman Van Rompuy verachtet das Parlament, wie er in einem Interview neulich unumwunden gesagt hat: „Entschieden wird woanders!“ Die Eliten, die von den Bürgern Europas eigentlich dafür bezahlt werden, die schöne Idee von Europa in eine einigermaßen vernünftige, alltägliche Politik umzusetzen, bekämpfen sich nämlich bis aufs Messer. Keiner gönnt dem anderen etwas: Die Leute vom Rat hassen die Kommission, das Parlament kämpft gegen die Kommission, die Kommission schneidet den Rat, wo sie kann usw. Im Hintergrund agieren die Parteien, in offiziellen, halboffiziellen oder geheimen Zirkeln. Ein sogenannter „Trilog“ stellt sicher, dass der ganze Laden nicht im völligen Sillstand erstarrt wie Lots Weib, die zur Salzsäule wurde, weil sie auf Sodom und Gomorra zurückgeblickt hatte.


Die meisten Regierungschefs stehen mit dem Rücken zur Wand (hier). Doch anders als Lord Leach haben sie nicht kapiert, warum. Die „EU“ und die die klassischen Parteien verlieren nicht deswegen so dramatisch an Zuspruch, weil die Bürger plötzlich „gegen Europa“ sind. Sie verlieren die Zustimmung, weil der hemmungslose, fortgesetzte und offene Rechtsbruch den Bürgern vor Augen führt, dass ihre kühnsten Träume von einem vereinten Europa zu einem Alptraum einer Parallelgesellschaft für Funktionäre und ihre Freundeskreise geworden sind. Dieses „Europa“ hat mit den Werten des alten Kontinents – Vielfalt, Respekt, Toleranz, Offenheit – nichts mehr zu tun.
Die EU in ihrer aktuellen Verfassung steuert zielsicher auf ihren Untergang zu. Das Personal an Deck der Euro-Titanic (Broder) merkt nicht, dass die dumpfen Schläge(Le Pen, Ukip, Goldene Morgenröte, Podemos, Syriza, FPÖ, Afd) nicht die Betrunkenen sind, die es nicht mehr bis in die Kabinen schaffen, sondern die Eisberge, die den Rumpf des führungslosen Schiffs durchschlagen.
Der Terminkalender für Ratspräsident Herman Van Rompuy sieht vor, dass der Belgier am Mittwoch nach Aachen reist. Dort wird er den Karlspreis in Empfang nehmen.
Der Anspruch dieses Preises:
„Der Karlspreis wirkt in die Zukunft, er birgt gleichsam eine Verpflichtung in sich, aber eine Verpflichtung von höchstem ethischem Gehalt. Er zielt auf freiwilligen Zusammenschluss der europäischen Völker, um in neu gewonnener Stärke die höchsten irdischen Güter – Freiheit, Menschlichkeit und Frieden – zu verteidigen, den unterdrückten und Not leidenden Völkern wirksam zu helfen und die Zukunft der Kinder und Enkel zu sichern.
Immerhin: Im Rahmenprogramm findet sich auch ein aktueller Bezug: Am Donnerstag werden Kevin (Vocals) und Kim (Guitar) „Acoustic-Indie-Pop mit ihrer ganz eigenen Note“ zum Besten geben. Die beiden Jungs möchte man hören.
Das Motto ihres Auftritts: „Lights Out“.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen