Freitag, 8. August 2014

Der dystopische Abstieg der Ukraine zur Militärdiktatur

Der ukrainische Staat zerfällt weiter in Zeitlupe. Der jüngste Schritt: Präsident Peter Poroschenko will den letzten Überbleibseln des Parlaments, der Rada, den Todesstoß versetzen. Auslöser: Das Parlament hatte sich geweigert, ein Gesetz zu verabschieden, das die Regierungen von Lugansk und Donezk als Terrororganisationen abstempelt. Nun wettert Poroschenko, die »Hälfte der Werchowna Rada« gehöre einer »fünften Kolonne an, die blockweise aus dem Ausland gesteuert wird«.

Mit seiner Pseudo-Legitimität hätte es das Gesetz den USA erlaubt, nachzuziehen und die vermeintlich aus Russland stammende Unterstützung für diese Einheiten als Grund zu nehmen, Russland auf die Liste der den Terror finanzierenden Staaten zu setzen. Mit seinen Drohungen versucht Poroschenko vorsätzlich, nationalistische Wähler aufzustacheln und alle möglicherweise noch verbliebenen pragmatisch denkenden Politiker einzuschüchtern, während er nach nahezu absoluter Kontrolle über den Staat greift, so wie ein Oligarch ja auch die vollständige Oberhoheit über sein Unternehmen hat.
Passend dazu unterstützt der Westen das ukrainische Militär rückhaltlos, obwohl auch diese Institution kurz davor steht, in sich zusammenzubrechen. Die beiden Trends führen zu einem dystopischen Abstieg der Ukraine hin zu einer Militärdiktatur – alles mit der begeisterten Rückendeckung des Westens, während dieser seinen jüngsten antirussischen Kreuzzug führt.

Fünfte Kolonne und Schmutzpolitik

Poroschenko spielt ein schmutziges politisches Spiel, wenn er der Hälfte der Rada vorwirft, eine von Moskau gesteuerte »fünfte Kolonne« zu sein. In Wahrheit ist der Großteil der ukrainischen Regierung eine fünfte Kolonne, nämlich eine des Westens, aber darum geht es hier gar nicht. Poroschenkos Absicht ist es, die Politiker einzuschüchtern, die gegen das »Anti-Terror-Gesetz« gestimmt haben. Sie sollen fürchten, ihnen könnte dasselbe Schicksal drohen wie der unlängst verbotenen Kommunistischen Partei, die wegen ihrer vermeintlich »pro-russischen« Haltung verfolgt wurde. Nicht nur das, aber in der Ukraine hat sich seit dem Staatsstreich auch eine lange Liste an Verstößen gegen die Menschenrechteund an politischer Unterdrückung angesammelt. Wer anderer Meinung als das Regime ist, kann sich also anhand dieser Beispiele sehr gut ausmalen, was mit ihm geschehen wird.

Darüber hinaus will Poroschenko einen Keil zwischen Gesellschaft und Rada treiben und im Vorfeld der vorgezogenen Wahlen den Nationalismus anfachen. Er hofft darauf, dass die Wähler den Anschein von Demokratie mitmachen und, als »patriotische« Entscheidung verkleidet, Poroschenkos politische Gegner abwählen. Das verschärft zwar den im Land herrschenden politischen Tumult, lenkt aber gut von der bevorstehenden IWF-Krise ab (wegen der die Rada überhaupt erst zerfallen war). Und die Probleme des Landes lassen sich so bequem auf die inneren Feinde abwälzen.

Poroschenko geht bewusst ein Risiko ein und versucht, die Kontrolle über den Staat so zu bündeln, wie es ein Oligarch in seinem Unternehmen tut. Aber er begibt sich in eine gefährliche Zwickmühle: Er will mit Hilfe der Nationalisten seine Macht steigern, aber deren Einfluss und Ziele wachsen genauso schnell wie seine. Was spricht dagegen, dass sie sich eines Tages gegen ihn wenden und ihn zu ihrerMarionette machen (falls sie ihn überhaupt an der Macht lassen)? Der Westen weiß das und setzt deshalb nicht alles auf ein Pferd. Er geht auf Nummer sicher und unterstützt auch das Militär, um im Fall der Fälle noch Einfluss in der Ukraine zu besitzen.

Plan B: Der Mob in Uniform

Damit man für den Fall gewappnet ist, dass Poroschenko gegen den Willen des Westens seine Macht verliert, hat sich der Westen voll und ganz hinter das ukrainische Militär gestellt. Natürlich geschieht das auch, um die Föderationsbefürworter im Osten zu zerschlagen, aber der doppelte Zweck, den diese Rückendeckung erfüllt, verdient einen gründlicheren Blick. Die USA haben den ukrainischen Streitkräften bereits nahezu 53 Millionen Dollar (einmal 5 Millionen Dollar und einmal 48 Millionen Dollar) zukommen lassen. Und wenn das »amerikanische Aggressions-Ermächtigungsgesetz« erst einmal in Kraft tritt, wird die Ukraine zu einem wichtigen Nicht-Nato-Verbündeten. Und auch wenn das Gesetz nicht kommt, bereiten sich die USA weiter darauf vor, dass die Nationalgarde Kaliforniens im kommenden Jahr die ukrainische Nationalgarde ausbildet. Außerdem schicken die Amerikaner Militärberater in die Ukraine, und zwar noch diesen Monat.

Die EU hat eine 180-Grad-Wende vollzogen und unerwartet ihr Waffenexportverbot für die Ukraine aufgehoben, sodass sich nun eine Flut an Waffen ungebremst in das vom Konflikt geplagte Land ergießen kann. Das ausgesprochen Ironische daran ist, dass die EU im Februar das Verbot ursprünglich gegen die Regierung Janukowitsch verhängt hatte, mit dem Ziel, »interne Unterdrückung« zu verhindern.

Aber die aktuelle, durch einen Staatsstreich an die Macht gelangte Regierung, hat mehr als 1000 Menschen getötet und die Opferzahlen steigen während der aktuellen »Anti-Terror-Operation« weiter. Die auf Seiten der Putsch-Regierung stehende Kiew Post räumt ein, dass 90 Menschenstarben, bevor Janukowitsch gestürzt wurde. Das heißt, die derzeitige Regierung hat zehnmal so viele Menschen umgebracht und wird im Gegenzug damit belohnt, dass sie Zugang zu den modernsten Waffen bekommt, die Europa zu bieten hat.

Die Unterstützung gilt dem Westen als erforderlich, um die wirtschaftliche und politische Einbindung der Ukraine in den Westen durch das Assoziierungsabkommen abzusichern. Wird Poroschenko gestürzt, sei es denkbar, so zumindest die Gedankengänge des Westens, dass dann das Militär die Ukraine regiert und die Integration auf Kurs hält. Doch die Crux bei der Sache ist, dass das Militär beinahe genauso rasch zerfällt wie der Staat und damit nicht im Geringsten einen zuverlässigen Verbündeten darstellt. Fahnenfluchtschlechte Bedingungen, Engpässe bei der Versorgung,ungenügende Lebensmittelrationen und Proteste gegen die Mobilisierung – all das spricht dafür, dass das Militär zum jetzigen Zeitpunkt sehr instabil ist.

Wer so einer Organisation auch noch Waffen liefert, läuft Gefahr, dass die Waffen Extremisten in die Hände fallen, sollten die Streitkräfte ähnlich wie in Libyen geschehen schlagartig in sich zusammenbrechen. Schlimmer noch: Diese Akteure wären vom US-Militär darin ausgebildet worden, die Waffen möglichst tödlich einzusetzen. Neonazi-Terroristen, die mit amerikanischen oder europäischen Waffen Einwanderer und Muslime in beispielsweise Paris oder Berlin abschlachten – dieses Szenario wird schlagartig bedrohlich real.

Von »Demokratie« zu Diktatur

Die »Demokratie« (in der Sprachregelung des Westens), die nach dem Staatsstreich in der Ukraine entstanden ist, entwickelt sich zügig zu einem militarisierten Staat, in dessen Mittelpunkt ein Möchtegern-GI-Joe steht. Mit seinem gefährlichen Streben nach Macht zerreißt Poroschenko die letzten Überreste der Rada. Der Weg von Phantomdemokratie zu eindeutiger Diktatur zeichnet sich durch vier zentrale Merkmale aus:
  • Politisch:
Poroschenko will die ohnehin bereits angeschlagene Rada völlig lahmlegen und in eine nationalistische Marionette verwandeln. Hier tut sich Risiko um Risiko auf, aber beim Griff nach der absoluten Macht gilt es lächerlicherweise als Wagnis, das es wert ist, eingegangen zu werden.
  • Militärisch:
Das Militär soll durch einen »umgekehrten Saakaschwili« gestärkt werden. Der abtrünnige Georgier hatte, bevor er einen Krieg startete, die Militärausgaben seines Landes über einen Zeitraum von gerade einmal vier Jahren um das 24,5-fache gesteigert. Poroschenko will das nun kopieren, aber während und nach dem tatsächlichen Krieg. Das Schreckgespenst »russische Bedrohung« sorgt für reichlich Hilfe aus dem Westen bei diesem Projekt, aber auch der Westen wird nicht die komplette Rechnung begleichen. Deshalb müssen die Forschungsausgaben gesenkt werdenund deshalb wurde eine neue Militärsteuer in Höhe von 1,5 Prozent verhängt.

Die Militarisierung wird auf zwei Ebenen stattfinden – einmal auf der oberen Ebene, der Ebene der offiziellen Streitkräfte, und einmal auf der unteren, zivilen Ebene durch die Organisation »Rechter Sektor« in Form von Drohungen, Einschüchterungen und radikalem Nationalismus. Die Bevölkerung soll in einer ständigen Belagerungsmentalität gehalten werden, deshalb spielt die Regierung die Bedrohung durch interne Feinde (»fünfte Kolonnen«), »Terroristen«, »die Gefahr aus Russland« und die »Krim-Besetzung« hoch.
  • Informationspolitisch:
Der Krieg gegen Journalisten dauert ungebremst an. Die Ukraine ist im laufenden Jahr das gefährlichste Land der Welt für Journalisten. Wer sich nicht an die offizielle Regierungslinie hält, wird verfolgt und aus dem Land gejagt, das zeigen die Beispiele von Graham PhillipsAlina Eprimian, der LifeNews-Crew und andere. Dass ausgewählte russische Medien verboten wurden, gehört inzwischen dazu in einem Land, das eine Aufnahme in die für Meinungsfreiheit eintretende EU anstrebt.
  • Normativ:
Zusammengefasst will Poroschenko externen Schutz (Schatten-Nato) und Zustimmung (»Legitimierung« durch Europa und das Assoziierungsabkommen der EU) für seinen Griff nach der Macht. Bislang hat ihn der Westen bei jedem seiner Schritte begeistert begleitet.

Den Krieg im Osten zu gewinnen, ist für Poroschenko nicht so wichtig wie die Aufgabe, sich und seiner Clique die internen politischen Pfründe zu sichern. Man darf nicht vergessen, dass er vor allem eines ist – ein Oligarch. Wie heißt es so schön: »Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.« Die größte Gefahr besteht darin, dass ihn eben jene nationalistischen Kräfte, die Poroschenko bei der Ausweitung seiner Macht helfen sollen, stürzen und dass das Militär dann machtlos zusehen muss (falls es zu diesem Zeitpunkt nicht ohnehin schon vor den Karren der Nationalisten gespannt wurde).

Was das Abrutschen in eine Militärdiktatur und nationalistische Destabilisierung noch dystopischer macht, sind die »hohen westlichen Werte«. Sie werden stets als etwas Besseres hervorgehoben, stehen jetzt aber entschlossen dahinter, diesen Alptraum ins Herz Europas zu tragen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen