Montag, 13. Mai 2013

Was haben Sklavenarbeit in Bangladesch Pferdefleischskandal und Ökostrom gemeinsam ?


Nein, diese Über­schrift ist keine Scherz­frage. Es gibt dar­auf eine ernst zu neh­mende und ernst­haft zu hin­ter­fra­gende Ant­wort. Auf allen drei ange­spro­che­nen Fel­dern wird näm­lich an die Moral der Ver­brau­cher appel­liert. Die Ver­brau­cher im Wes­ten, so jüngst die Che­fin des Men­schen­rechts­aus­schus­ses im Euro­pa­par­la­ment, die Grünen-Politikerin Bar­bara Loch­bih­ler, in einem Inter­view, seien indi­rekte Täter, wenn sie unter Skla­ven­ar­beit pro­du­zierte Klei­dung aus Ban­gla­desch kauf­ten. Ver­brau­cher, so häu­fig der Tenor von Kom­men­ta­ren zu Lebens­mit­tel­skan­da­len, dürf­ten sich über die min­der­wer­ti­gen Zuta­ten etwa in einer Fertig-Lasagne aus dem Tief­kühl­re­gal nicht wun­dern, wenn die­ses Gericht nur ein paar Euro koste. Und last but not least wer­ben Ökostrom­an­bie­ter damit, dass der Ver­brau­cher mit dem im Ver­gleich zur Kon­kur­renz höhe­ren Preis für ihren Strom auch ein Stück gutes Umwelt­ge­wis­sen einkaufe.
Dage­gen ist eigent­lich nichts ein­zu­wen­den, oder? Nun, von Ver­brau­chern mit gut gefüll­tem Porte­mon­naie ist ein ent­spre­chend ver­ant­wor­tungs­be­wuss­tes Kauf­ver­hal­ten nicht über­mä­ßig viel ver­langt, wer wollte das bestrei­ten? Wer wollte aber behaup­ten, dass es von den vie­len, die dank mise­ra­bler Bezah­lung ihrer Arbeit oder dank Hartz IV jeden Cent umdre­hen müs­sen, damit es zum Leben für sich selbst und die Fami­lie reicht, nicht doch eine gehö­rige Por­tion Extra-Moral erfor­dert, an die Fol­gen ihres Kon­sum­ver­hal­tens für Dritte zu den­ken? Nun gut, wer­den die an die Ver­ant­wor­tung der Ver­brau­cher Appel­lie­ren­den viel­leicht sagen, neh­men wir diese Gruppe mal aus; ver­hal­ten sich alle übri­gen ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ter, müsste das die Zustände deut­lich ver­än­dern helfen.
Trotz­dem scheint mir die­ser Stand­punkt recht merk­wür­dig zu sein. Zunächst ein­mal passt sich jeder ein­zelne in einer Markt­wirt­schaft an seine Bud­get­re­strik­tion an, und zwar nicht nur jeder Ver­brau­cher, auch jeder Arbeit­neh­mer und jeder Unter­neh­mer. Wie viel Moral er sich dabei leis­tet zum eige­nen Nut­zen und/oder zum Wohle Drit­ter, bleibt zunächst ein­mal ihm über­las­sen. Warum aber wird die Moral haupt­säch­lich beim letz­ten Glied in der Kette, dem Ver­brau­cher, ange­mahnt und viel weni­ger bei den Glie­dern davor, dort näm­lich, wo das Ein­kom­men ent­steht? Hat das damit zu tun, dass viele Wort­füh­rer, die nicht sel­ten selbst aus der Frak­tion der rela­tiv gut Betuch­ten stam­men, das Thema “Unter wel­chen Bedin­gun­gen ent­ste­hen Markt­ein­kom­men?” lie­ber nicht anpa­cken, weil es dann um die Höhe des eige­nen Bud­gets ginge und nicht um die Frage, wofür es aus­ge­ben wer­den sollte und wofür nicht?
Um es kon­kre­ter zu bebil­dern: Der eine kauft Bio­baum­woll­pro­dukte und fair gehan­del­ten Kaf­fee, der andere arbei­tet bewusst nicht in einem gro­ßen Rüs­tungs­be­trieb, obwohl er dort wesent­lich mehr ver­die­nen könnte als bei sei­nem mit­tel­stän­di­schen Arbeit­ge­ber. Der nächste wei­gert sich, auf eine lukra­tive Stelle im Deri­va­te­han­del sei­ner Bank zu wech­seln, weil dort auch Spe­ku­la­ti­ons­ge­schäfte im Bereich Lebens­mit­tel­roh­stoffe abge­wi­ckelt wer­den. Und der aus Steu­er­gel­dern bezahlte W3-Professor für Phar­ma­ko­lo­gie lehnt ein Dritt­mit­tel­pro­jekt der Phar­ma­in­dus­trie, das sein Ein­kom­men und die Zahl sei­ner Assis­ten­ten­stel­len beträcht­lich auf­bes­sern würde, ab, weil er die Unab­hän­gig­keit sei­ner For­schungs­tä­tig­keit gefähr­det sieht.
Nicht zu ver­ges­sen der Zulie­fer­be­trieb in der Auto­in­dus­trie, der auf­hört, sei­nen Betriebs­rat mit dem Argu­ment unter Druck zu set­zen, dass er nun mal wegen der Preis­drü­cke­rei durch den über­mäch­ti­gen Abneh­mer nicht anders könne, als die Öffnungs­klau­sel des Tarif­ver­trags wahr­zu­neh­men und sei­nen Beschäf­tig­ten die aus­ge­han­delte Lohn­stei­ge­rung doch nicht zu zah­len. Der sich statt­des­sen mit ande­ren Zulie­fe­rern zusam­men­schließt und dem Abneh­mer die Preis­drü­cke­rei aus­treibt mit dem Hin­weis, seine Beschäf­tig­ten seien keine Püpp­chen auf dem Spiel­brett von Großkonzernen.
Eine schöne Welt wäre das vol­ler frei­wil­lig ein­ge­hal­te­ner Nor­men. Klingt bis auf das erste Bei­spiel mit Bio­baum­wolle und Fairtrade-Kaffee nur lei­der nicht sehr rea­lis­tisch, fürchte ich.
Und zwar des­halb nicht sehr rea­lis­tisch, weil die Appelle an die Ver­brau­cher auch Ergeb­nis einer kras­sen Dop­pel­mo­ral sind. Beim Geld­aus­ge­ben, da möchte man­cher Poli­ti­ker und Leit­ar­tik­ler den Leu­ten gern mora­lisch auf die Fin­ger sehen, aber beim Geld­ver­die­nen, da schauen wir lie­ber nicht so genau hin. Ganz im Gegen­teil: Da machen viele her­vor­ra­gend bezahlte Men­schen den Ärms­ten in die­ser Gesell­schaft weis, ihre Arbeit sei pro Stunde kei­nes­falls 8,50 Euro wert. Und dem Dik­tat der Märkte, so heißt es wei­ter, unter­liege nun mal jedes Unter­neh­men, wes­halb der Erhalt der Wett­be­werbs­fä­hig­keit durch Lohn­zu­rück­hal­tung dem Wohle sei­ner Beschäf­tig­ten diene.
Nein, wenn es irgend­wie gerecht zuge­hen soll (was etwas ganz ande­res ist als der mora­lisch erho­bene Zei­ge­fin­ger), dann müs­sen wir im demo­kra­ti­schen Pro­zess all­ge­mein ver­bind­li­che Nor­men durch unsere Ord­nungs­po­li­tik zu Hause und in inter­na­tio­na­len Abspra­chen auf­stel­len, die diese Moral klipp und klar für jeder­mann wider­spie­geln und von jedem ein­for­dern. Dann gibt es eben kei­nen Bil­lig­strom aus Koh­le­kraft­wer­ken, keine Billig-Eier aus fälsch­li­cher­weise mit Frei­land­hal­tung eti­ket­tier­ten Lege­bat­te­rien, keine 2-Euro-T-Shirts, aber auch keine Auf­sto­cker­löhne, keine “akti­vie­ren­den” Hartz-IV-Sätze und keine Mini­ren­ten. Dazu müs­sen wir aber auch unse­ren Staat mit Steu­er­gel­dern der Bes­ser– und der Spit­zen­ver­die­ner so gut aus­rüs­ten, dass er die Ein­hal­tung die­ser Nor­men kon­se­quent durch­set­zen kann.
Und wer glaubt, ande­ren Län­dern nicht durch Han­dels­be­din­gun­gen vor­schrei­ben zu kön­nen, wie sie ihre Sozi­al­stan­dards zu ent­wi­ckeln haben, der kann ja mal die Kapi­tal­ver­kehrs­frei­heit und spie­gel­bild­lich dazu den Frei­han­del hin­ter­fra­gen, die hie­si­gen Unter­neh­men direkt und indi­rekt erlau­ben, die Men­schen in Bil­lig­lohn­län­dern auszubeuten.
Wenn wir das alles tun, dann erüb­ri­gen sich auch die Appelle an das Gewis­sen von Lies­chen Mül­ler und Häns­chen Schmidt, damit sol­che töd­li­chen Skan­dale wie in Ban­gla­desch ver­hin­dert werden.
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