Donnerstag, 8. August 2013

Soziologe aus Jena: "Hartz IV wirkt wie ein Stigma"

Keine Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, dafür mehr Jobs in Pflege, Erziehung und Bildung: Wissenschaftler aus Jena fordern ein Umdenken in der Arbeitsmarktpolitik.
Forscher der Universität Jena bescheinigen den Hartz-Reformen fatale Folgen. Der Soziologe Klaus Dörre sagte, die Hartz-IV-Logik führe zum Gegenteil dessen, was sie leisten wolle: Sie erzeuge Passivität, wo sie Aktivierung vorgebe.
Spielzeugfiguren bauen am Schriftzug Hartz IV
Für Betroffene stellt Hartz IV laut den Forschern oft eine Spirale nach unten dar.
"Den Hartz-Reformen liegt das Bild zugrunde der faulen, passiven Langzeitarbeitslosen, die es sich in der Hängematte des Wohlfahrtsstaates bequem machen. Das können wir nicht feststellen", sagte Dörre in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.

Es gebe lediglich eine Gruppe mit einem Anteil von acht bis zehn Prozent der Leistungsbezieher, die "nicht mehr kann und nicht mehr will". Bei ihnen blieben die Sanktionen wirkungslos, der teure Überwachungsapparat dahinter sei daher unsinnig. Eine reiche Gesellschaft müsse so eine Gruppe Menschen aushalten.

Sanktionen abschaffen und für Beschäftigung sorgen

Für eine Studie, die in diesem Jahr erschienen ist, hatten Dörre und seine Kollegen vom Institut für Soziologie Hartz-IV-Empfänger über sieben Jahre immer wieder befragt. Den Sprung aus dem Leistungsbezug hätten nur ganz wenige Leistungsbezieher geschafft. Manche mussten sich nach Dörres Worten in zehn bis zwölf Stationen - wie beispielsweise Ein-Euro-Jobs - abstrampeln, ohne dabei von der Stelle zu kommen.
Nach Dörres Worten wirkt Hartz IV überdies wie ein Stigma. "Der springende Punkt ist, dass etwa Frauen im Osten, die lange berufstätig waren und dann herausfallen, sich jetzt wahrnehmen als Leute, die gewissermaßen unter die Schwelle der Respektabilität gedrückt werden, auf eine Stufe gestellt werden mit Sozialhilfebeziehern", sagte er.

Die Folge sei eine "Spirale nach unten": Es falle den Menschen wegen materieller Knappheit immer schwerer, sich zur Mehrheit der Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Als 'Hartzi' identifiziert zu werden, sei ähnlich wie eine dunkle Hautfarbe im Süden der USA zu haben. Als Konsequenz aus den Studienergebnissen forderte Dörre, die Sanktionen gegen Betroffene abzuschaffen. Für sinnvolle Beschäftigung müsse außerdem gesorgt werden. "Es gibt im Dienstleistungssektor großen Nachholbedarf bei pflegenden, erziehenden und bildenden Tätigkeiten", sagte der Forscher.

Studie erhält Zuspruch

Der Paritätische Wohlfahrtsverband spricht von einer "Zwei-Klassen-Arbeitsmarktpolitik". Der Hauptgeschäftsführer des Sozialverbandes, Ulrich Schneider, sagte dem Evangelischen Pressedienst, die Jobcenter kümmerten sich vor allem um gut qualifizierte Arbeitssuchende und hielten für Langzeitarbeitslose kaum Möglichkeiten bereit. "Die Menschen werden nicht aktiviert, sondern immer weiter ausgegrenzt, nach dem Motto: 'Du hast versagt'". Bundesweit gibt es rund 6,1 Millionen Empfänger.
Quelle: MDR

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