Donnerstag, 19. Dezember 2013

Guardiolas trauriges Versagen

Sportlich gesehen läuft alles "supersupersuper", um den Status quo des FC Bayern mal im Guardiolischen Duktus zu beschreiben.
Vor Amtsantritt des Katalanen hatte man orakelt, dass Guardiola nach all den Siegen seines Vorgängers nur verlieren könne.
Dass es letztlich anders kam und der 42-jährige aus den Über-Bayern eines Jupp Heynckes die ÜberÜberÜber-Bayern des Pep Guardiola formte, ist zweifellos eine bemerkenswerte Leistung, zumal ihm dies quasi ohne nennenswerte Aufwärmphase gelang.
Guardiolas Bild ist eindeutig zweideutig
Einerseits charismatischer Dressman, andererseits erfolgsbesessener Fußball-Intellektueller. Verbalakrobatischer Charmeur für die Presse und knallharter System-Fanatiker für seine Spieler.
Pep Guardiola spielt in seinem Leben zwei Rollen: Für die Öffentlichkeit den sympathisch perfektionistischen Erfolgscoach, der sich bei seinen Aussagen gerne in Belanglosigkeiten verliert und auch bei potenziellen Reizthemen gekonnt oberflächlich und somit unangreifbar bleibt. Für sich selbst der Karrierist, der Eventualitäten hasst und deshalb mit beispielloser Akribie nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlässt.
Insofern war es schon grotesk, als er, Guardiola, der Katar-Botschafter, über die Pressestelle des FC Bayern vor einigen Wochen verlauten ließ, dass er "die Fakten nicht kenne". Jene erschreckenden und längst zugänglichen Fakten, mit denen sich der französische Fußball-Profi Zahir Belounis in einem verzweifelten Hilferuf aus seinem Kafala-Gefängnis im Emirat an ihn gerichtet hatte.
Guardiola stellt sich ahnunglos
"Ich habe meine Familie seit Juni 2012 nicht mehr gesehen, da mein Arbeitgeber mir kein Ausreisevisum gewährt", hatte der mittlerweile befreite Belounis in seinem Brief geschrieben. "Bitte nutzen Sie Ihren Einfluss als Fußball-Botschafter, um darüber zu sprechen, was mit mir und vielen anderen jungen Männern hier geschieht."
Guardiola nutzte weder die Chance, noch seinen Einfluss, sondern stellte auf Durchzug. Es erschien nicht opportun, der Not eines Mannes Aufmerksamkeit zu schenken, der Opfer eines modernen Sklaven-System geworden war. In einem Land, für das sich Guardiola als attraktiver und fürstlich entlohnter Werbeträger hergibt.
Geschadet hat dieses Verhalten Guardiola nicht.
Es blieb eine Randnotiz, die schnell in Vergessenheit geriet, da Guardiolas FC Bayern durch einen beispiellosen Siegeszug die Schlagzeilen eroberte und stattdessen ein Irrlicht in Gestalt von Franz Beckenbauer für Fassungslosigkeit sorgte. Der "Kaiser" wollte auf seiner Stippvisite ins Emirat schließlich "keine Sklaven" und ergo auch keine Missstände ausgemacht haben.
Guardiola verlässt der Mut
Während also längst nicht nur Amnesty International Furchtbares entdeckte, fragten sich Beckenbauer noch "Wo?" und Guardiola "Warum?".
Miguel Angel Violán, einer der unzähligen Guardiola-Biografen, erklärt stolz, dass der Coach einst beim FC Barcelona einen prägnanten Spruch von ihm übernommen habe: "Man muss den Mut haben, Werte zu haben". Dieses Credo ließ Guardiola von Sponsor Nike auf die Trikots flocken.
Dort machte es sich gut, pflegte es doch das Image des Klubs als internationaler Sympathieträger und Antipode zum ach so arroganten Rivalen aus Madrid. Und so störte sich später auch kaum jemand daran, als Guardiola dabei half die "Qatar Foundation" als neuen Trikotsponsor zu gewinnen. "Wenn das eine Möglichkeit ist, unsere finanzielle Lage zu verbessern, sollten wir es tun", meinte der 42-Jährige zu dem Deal.
Man mag das als legitimen Pragmatismus deklarieren, man kann es aber auch als unmoralisch kritisieren.
Glaubwürdigkeit verloren?
Der Philosoph Wolfram Eilenberger wirft Guardiola in der Zeit deshalb auch konkret "ethisches Versagen" vor. Mit seiner Ignoranz gegenüber den Missständen im Allgemeinen sowie dem Hilferuf von Zahir Belounis im Speziellen, habe Katar-Botschafter Guardiola "den Wertekanon, den man mit ihm verbindet und den er zu vertreten vorgibt, schäbig unterlaufen."
In den Augen des Philosophen habe Guardiola "massiv an moralischer Glaubwürdigkeit verloren." Natürlich wird es genügend Menschen geben, die sein Verhalten verteidigen und die Kritik daran als ödes Gutmenschentum diskreditieren. Denn: Guardiola ist Fußball-Trainer, kein UN-Generalsekretär.
Doch so einfach ist es nicht. Schließlich könnte dieser einflussreiche Fußballtrainer mit wenigen mutigen Aussagen wohl mehr bewirken als es die abgegriffenen Worthülsen im Diplomaten-Sprech jemals könnten. Guardiola verdient großen Respekt für seine Tun als Trainer. Doch er verdient auch berechtigte Kritik für sein Nichts-Tun als Lobbyist.
"Man muss den Mut haben, Werte zu haben". Guardiola hätte seinen Trikot-Slogan mit Leben füllen können. Er hätte dazu nicht einmal mutig sein müssen, hätte er nur die Moral über den Mammon gestellt.
Er entschied sich dagegen...
Aber wahrscheinlich hatte Friedhelm Hengsbach einfach nur Recht, als er einst feststellte, dass die Moral per se nichts wert sei, solange sie nicht "in ökonomische Kategorien übersetzt wird". Moral, vermutete der Sozialethiker, "muss einen Preis bekommen."
Bleibt nur die Frage, wer die Währung bestimmt.
Im Fall von Katar wird in menschlichen Dramen abgerechnet. Das Schweigen der Wissenden bestimmt einen Preis, den sie selbst nicht zahlen müssen.
Das ist nicht nur unmoralisch. Er ist auch himmelschreiend ungerecht.
Michael Wollny

Quelle: Eurosport

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