Montag, 3. Juni 2013

Die Türkei ist keine Demokratie - Erdogan regiert als Diktator

Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat den Demonstranten in seinem Land gedroht. Der Geheimdienst sei „inländischen und ausländischen Gruppen“ auf der Spur, mit denen „abgerechnet“ werde.

Nach einer neuen Nacht der Gewalt hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seine Drohungen gegen demonstrierende Regierungsgegner verschärft. Der türkische Geheimdienst sei inländischen und ausländischen Gruppen auf der Spur, mit denen noch abgerechnet werde, sagte Erdogan am Montag, bevor er ungeachtet der Spannungen zu einem Besuch nach Marokko abflog. Erdogan rief vor der Abreise zu seinem Nordafrika-Besuch zur Ruhe auf und sagte, die Protestwelle gegen ihn und seine Regierung sei von Extremisten organisiert.

In mehreren Städten der Türkei lieferten sich Demonstranten abermals Straßenkämpfe mit der Polizei. Schwere Zusammenstöße gab es in der Nacht zum Montag in der Hauptstadt Ankara rund um ein Einkaufszentrum. Bei den Protesten gegen die islamisch-konservative Regierung kam es dort nach Angaben einer türkischen Oppositionspolitikerin zu Massenfestnahmen. Sie habe die Polizei besucht und erfahren, dass 1500 Menschen in Gewahrsam seien, sagte Aylin Nazliaka, Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei CHP, der „Hürriyet Daily News“. „Als wir dort waren, kamen neun weitere Busse an.“ Die Festgenommenen seien gefesselt, Kontakte zu Rechtsanwälten sei nicht erlaubt. Sie würden fotografiert und gedrängt, Geständnisse zu unterschreiben.


Gül: Demokratie bedeutet nicht allein Wahlen zu haben

Die Protestwelle hatte sich an der gewaltsamen Räumung eines Protestlagers entzündet, mit dem die Zerstörung des Gezi-Parks am zentralen Taksim-Platz in Istanbul verhindert werden sollte. Inzwischen richten sich die Proteste vor allem gegen einen als immer autoritärer empfundenen Kurs Erdogans.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verfolge das harte Vorgehen der türkischen Polizei mit Sorge, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin: „Das Gebot der Stunde ist Deeskalation und Dialog.“ Das Recht der Bürger auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit sei ein Grundrecht in einer Demokratie.
Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül sagte: „Demokratie bedeutet nicht allein Wahlen zu haben.“ Unterschiedliche Meinungen müssten geäußert werden, aber mit gegenseitigem Respekt. „Wir leben in einer offenen Gesellschaft.“ Die Botschaft der Demonstranten werde gehört. Am Wochenende hatte Gül bereits interveniert, um den wegen Brutalität international kritisierten Polizeieinsatz auf dem Taksim-Platz zu beenden.
Der türkische Ministerpräsident wird sich daran gewöhnen müssen, dass sich auch in seinem Land die Bürger nicht mehr damit zufrieden geben, alle vier Jahre ihre Stimme abzugeben, ansonsten aber zu schweigen. Tayyip Erdogan scheint seinen eindrucksvollen dritten Wahlsieg im vergangenen Jahr als Freifahrtschein für selbstherrliches Regieren missverstanden zu haben. In ihrer dritten Legislaturperiode nimmt die Herrschaft seiner allein regierenden AKP immer mehr autoritäre Züge an.
Das mag in den anatolischen Hochburgen der AKP weiterhin funktionieren, aber nicht (mehr) in Istanbul. Unversehens wurde hier aus einem lokalen Protest ein Ereignis, das selbst in Washington Aufsehen erregte. Auf die Vorhaltungen einer Sprecherin des State Department, die Stabilität der Türkei hänge von der Gewährung demokratischer Grundrechte ab, reagierte der innenpolitische Niederlagen nicht gewohnte Erdogan recht dünnhäutig: Wer der Türkei Ratschläge erteilen wolle, solle besser bei sich selbst beginnen

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